Insofern mir etwas Befriedigung, Lust, Freude gibt, mache ich eine Einheit mit ihm. Womit aber mache ich eine Einheit – oder stimme ich überein – wenn Befriedigung, Lust, Freude aus der Macht über andere Menschen kommen? Denn ich mache mit ihnen keine Einheit, wenn ich das Verhältnis der Macht zu ihnen habe: Befriedigung, Lust, Freude kommen nicht aus ihrem Aufnehmen, Empfangen, Einsehen, Wahrnehmen, Auf-sich-wirken-lassen oder aus ihrer Auffassung als eigenständige Wesen, sondern daraus, ihnen überlegen zu sein, über ihnen zu stehen. Das heisst, es findet eine Abgrenzung gegen die Quelle der Befriedigung statt.
Macht ist eine Möglichkeit der Abgrenzung gegen die Quelle der Befriedigung, aber es gibt auch andere: Zum Beispiel die Befriedigung daraus, etwas zu haben, was die anderen nicht haben, selektive Wahrnehmung, zielgerichtetes Denken, Ignorieren, das Ziel, den anderen etwas wegzunehmen, sie schlecht machen (inadäquates Werturteil), herabwürdigen.
Zu anderen Menschen das Verhältnis der Macht haben, bedeutet eine Beleidigung ihres Seins, denn sie werden nicht als eigenständige Wesen wahrgenommen; ihr Existieren und ihre Relevanz bestehen nur darin, Objekte des eigenen Willens zu sein. Um Missverständnissen vorzubeugen, möchte ich hier auf den Unterschied von Machtperson zu Führungsperson hinweisen: Eine Führungsperson macht eine Einheit mit ihren Untergebenen oder ihr Anvertrauten, fühlt sich für sie verantwortlich und ist ihrem geistigen und materiellen Sein förderlich.
Politisch bedeutet ein Machtverhältnis grundsätzlich, den anderen Menschen als Partei gegenüberzustehen, da keine Einheit mit ihnen gebildet wird. Zur Erfassung der eigenen Existenz würde allerdings das Erfassen dessen gehören, worin alle sind und was alle verbindet. Kann ich ein eigenständiges, aus dem Kleinkindbewusstsein herausgewachsenes, verantwortliches Wesen sein, wenn ich nicht willens oder fähig bin, die anderen Menschen oder den Kosmos als eigenständige Wesen aufzufassen? Das, woraus Menschen oder politische Akteure ihre Befriedigung haben, hat dann ethische Relevanz, wenn sie sie daraus haben, das Leben anderer Menschen oder Staaten einzuschränken.
Zu anderen Menschen das Verhältnis der Macht zu haben, ist der Bewusstwerdung der eigenen Existenz entgegengesetzt
Gibt es einen Antrieb, das Bewusstsein der eigenen Existenz einzuschränken? Klar müssen wir uns darüber sein: Das Bewusstsein der eigenen Existenz einschränken, bedeutet nichts anderes, als die Wahrnehmung der anderen Menschen und des Kosmos einschränken. Unnötig zu sagen, dass das Einschränken der Wahrnehmung der anderen Menschen und des Kosmos eigentlich ihre – partielle – Verneinung bedeutet und destruktiv ist. Die Ironie – oder das Teuflische – besteht darin, dass durch diese Lebensweise angenehme Gefühle – Lust, Freude, Glück, Erfolgserlebnisse – generiert werden.
Bedeutet Erfüllung des eigenen Willens Zufriedenheit mit sich selber? Das Problem ist, dass ‘Erfüllung des eigenen Willens’ nicht notwendig an einen Inhalt gebunden ist oder an Widerspruchsfreiheit. Das heisst: jemand kann zwar die Erfüllung seines Willens erreichen, aber gezwungen sein, seinen Verstand zu verneinen. Es stellt sich die Frage: Was bejaht jemand und was verneint jemand, um seinen Willen zu erreichen?
In gewisser Weise handelt es sich bei jeder Herabwürdigung des Seins um einen Widerspruch
Herabwürdigen heisst, sich über andere Menschen oder den Kosmos stellen, sie in ihrem Sein kleiner machen, ihnen das Sein stehlen, ihnen ihre Relevanz für das eigene Sein aberkennen. Anders gesagt, heisst ‘herabwürdigen’, den Zusammenhang zwischen Idee und Gegenstand willkürlich bestimmen und nicht durch die Gegebenheiten der Sache (den Verstand). Herabwürdigung – wie die Lüge – bedeuten einen Widerspruch zur Realität.
Geschichtlich folgenschwer wird es, wenn eine mächtige religiöse oder politische Partei in Erscheinung tritt, die den Zusammenhang zwischen Idee und Gegenstand willkürlich so bestimmt, dass er mit ihrem zielgerichteten Willen übereinstimmt.
Die Herabwürdigung des Seins mündet unweigerlich in Falschheit: Widersprüchen zwischen Reden und Handeln, Worten und Taten, Gefühl und Verstand, Fehlschlüssen, Missachtung von Zusammenhängen, Schöpfung von Fantasiegestalten. Es werden Verbindungen, Abgrenzungen, Unter- und Überordnungen nach Kalkül hergestellt und was unvereinbar ist, zusammengeschmolzen: endlose intellektuelle Anstrengungen, um Widersprüche zu verdecken und die Anwendung des Verstandes zu unterdrücken.
Weltreligion:
Ihre Schöpfung ist eine Gottperson, durch die Willen und Macht mit Geist gleichgesetzt werden. Merkmal dieser Gottperson ist neben Allmacht und Reingeistigkeit, dass sie durch einen Vertrag die eigene Abstammungsgemeinschaft über die anderen Menschen erhoben hat. Durch diese Weltreligion wird eine Quelle der religiösen Befriedigung – eine Gottperson – geschaffen, durch die 99.9% der Menschen auf der Erde zu Wesen zweiter Klasse degradiert werden.
Lässt sich für einen Welt-Hegemon eine bessere Ideologie denken als besagte Weltreligion?
Brauchen die USA Russland zu ihrer Befriedigung? Was soll der Sinn davon sein, wenn die USA bzw. das von ihr geführte Militärbündnis ihr Territorium um das der Ukraine erweitert, und so seine Grenze bis an die Grenze Russlands verschiebt? Worin besteht die Befriedigung oder das Ziel der USA in einem solchen Vorgehen, das die vollkommene Missachtung der (Sicherheits-) Interessen Russlands enthält? Und wie denken sie, dass die andere Macht, Russland, reagieren soll?
Wenn gegenüber anderen Menschen oder Staaten Expansionismus betrieben wird, zu ihnen die Haltung der Macht eingenommen wird oder ihre Eigenständigkeit nicht ertragen wird, heisst das, dass diese Akteure zu ihrer Befriedigung andere Menschen oder Staaten brauchen. Anders gesagt: Der Welt-Hegemon macht keine Einheit mit seiner Quelle der Befriedigung – es sei denn, seine Quelle der Befriedigung sei die gleiche wie die der besagten Weltreligion (eine Gottperson, die 99.9% der Menschen dieser Erde zu Menschen zweiter Klasse herabgestuft hat).
Diese Welt-Religion hat jetzt einen Staat in einem fremden Kulturraum, wo sie die ansässige Bevölkerung vertreibt, um das Territorium ihres Staates auszuweiten: Die Regierung dieses Staates grenzt sich gegen die Bevölkerung ab, deren Territorium sie beansprucht. Was ist die Quelle ihrer Befriedigung? Ein allgemeiner Geist durch den die Menschen verbunden sind, kann es nicht sein – er kann somit auch nicht die Quelle der Befriedigung sein.